Diese Ansichtskarte ist eine Herausforderung. Wie kam es wohl zu dieser Abbildung?

 Hochschule für Bauwesen und Verkehr in Ust-Kamenogorsk

Hochschule für Bauwesen und Verkehr in Ust-Kamenogorsk

Zu sehen ist die Hochschule für Bauwesen und Verkehr/Строительно-дорожный институт in Ust Kamenogorsk/Усть-Каменогорск in der Kasachischen SSR/Казахская ССР. 1976 erscheint diese Karte in einer Auflage von 97000 Exemplaren im Verlag Shaluin/Жалын (Kasachisch für “Flamme”). Verantwortlich für die Fotografie ist B. Podgornui/Б. Подгорный.

Der Fotograf hat sich bemüht. Er hat immerhin 4 junge, hübsche Studentinnen der Hochschule für das Foto arrangiert. Sie schlendern gemütlich aus der Hochschule und unterhalten sich angeregt. Ihre Kleidung wirkt sehr farbenfroh. Sie sind der Kontrast zu dem ein wenig verwahrlosten Areal. Ohne sie wäre die Ansicht der Hochschule sehr trist. Grün und Unkraut wuchern über den Betonplatten-Vorplatz und ein Strauch reicht schon zur dritten Etage des Hochschulgebäudes. Ein Anblick, auf den man nicht unbedingt stolz sein kann.

Aber im Jahre 1976 wurde beschlossen, diese Ansichtskarte 97000 mal drucken zu lassen. Gab es keine Alternative? Hat der Fotograf kein besseres Foto machen können? Oder war das schon die beste Auswahl? Die Sonne scheint, das Gebäude an sich sieht auch ganz gut aus, die 4 Damen verschönern das Bild – sollte man sich den Rest wegdenken? Oder war das so eine Art rosarote “Sowjetische Brille”? Rein ästhetisch gesehen finde ich die Farbkomposition mit der rosigen Schule, die vom Blau und dem Grün eingeschlossen ist, ganz gut. Durch die Kontrastlosigkeit wirkt das Gebäude beinahe zart. Das Grün trägt zu der friedlichen Atmosphäre bei. Ich stelle mir einen Tag im Frühsommer Ust Kamenogorsk/Усть-Каменогорск vor.

Ust Kamenogorsk/Усть-Каменогорск hatte 1975 etwa 267000 Einwohner. Der Stadtname ist seit 1993 Oskemen/Өскемен – jetzt wohnen 420000 Leute dort. An der 1953 gegründeten Hochschule für Bauwesen und Verkehr/Строительно-дорожный институт arbeiteten im Jahr 1970 mehr als 400 Lehrer an 38 Fakultäten. Wie auf deren website zu lesen ist, fand 1974 dort eine Konferenz zur methodischen Aufbereitung von Lehrbüchern statt, zu der 319 Vorträge gehalten wurden und Vertreter von 38 Hochschulen der Kasachischen Unionsrepublik/Казахская ССР kamen. Es gab auch wissenschaftliche Kontakte ins Ausland, z.B. wurde in den 80ern zwei Patente zur vibro-abrasiven Bearbeitung von Kleinteilen aus Österreich und der BRD erworben. Nach der Unabhängigkeit Kasachstans wurde die Hochschule 1996 zur Technischen Universität Ost-Kasachstans/Восточно-Казахстанский технический университет.

Wie dem auch sei, im Jahr der fotografischen Aufnahme kümmerte man sich nicht besonders um die Außenanlagen der Hochschule. Das Grün ist beachtlich. Vielleicht ist der ungezügelte Wildwuchs auf die radioaktive Strahlung des Ulba Metallurgischen Werks/Ульбинский металлургический завод zurückzuführen. Dort werden seit den 1950ern Produkte aus Uran und Beryllium hergestellt. Bei Ust Kamenogorsk/Усть-Каменогорск gibt es weltweit die zweitgrößten Vorkommen Berylliums. In dem Werk wurden/werden unter anderem Brennelemente für Kernkraftwerke und atomgetriebene U-Boote, sowie hoch angereichertes Uran für Atombomben hergestellt. Selbstverständlich alles sehr geheim. Nur etwa 200 km entfernt befindet sich auch das große Atomtest-Gelände Semipalatinsk. Anfang der 1990er lagerten knapp 600 kg hochangereichtes Uran in einer Industriehalle in Ust Kamenogorsk/Усть-Каменогорск. Ursprünglich war es für die Reaktoren einer neue U-Boot Flotte gedacht, aber der Zerfall der UdSSR durchkreuzte dieses Vorhaben. Dass es in der Perestroika Zeit nicht irgendwie verkauft wurde, ist verwunderlich, aber auch ein großes Glück. In einer geheimen Aktion wurde das Material 1994 von der USA gesichert und ins Oak Ridge National Laboratory gebracht. Als Kompensation erhielt Kasachstan etwa 20 Millionen Dollar und diverse Geschenke:

“The compensation package was delivered by August 1997 and included the following: eight pursuit vehicles with radio and patrol lights; five mini-vans; eight light pick-up trucks; four buses with radios; 20 Nikon 35mm cameras plus lenses, flash assemblies and cases; 102 computers; 80 printers; 10 scanners; assorted software; 10 photocopiers; and medical supplies” (Defense Threat Reduction Agency Web Site)

Wie auch Tetjucha/Тетюха befindet sich Ust Kamenogorsk/Усть-Каменогорск auf der “Dirty Thirty” Liste – ein Ranking der 30 verschmutztesten Orte der Welt.

Thomas Neumann

http://en.wikipedia.org/wiki/Oskemen

http://ektu.kz/ (ru)

http://ektu.kz/ekstu%5Feng/index.html (eng)

http://www.specialoperations.com/History/Cold_War/Sapphire.htm

Ust-Kamonogorsk bei google-maps