Frantischek und Tetjucha/Тетюха

August 17, 2009

“Für Frantischek – Zur Erinnerung an Galina/На память Франтишеку от Галины” wurde in sauberer Schönschrift auf die Rückseite der Ansichtskarte geschrieben. Kommt Galina aus Tetjucha/Тетюха? War Frantischek dort zu Besuch? Waren es Schüler, Studenten, Erwachsene? Stammt die Karte aus einem persönlichem Treffen oder aus einer offiziellen Sowjetisch-Tschechoslowakischen Brieffreundschaft? Hat Frantischek geantwortet?

Ansichtskarte Tetjuscha - Rückseite

Ansichtskarte Tetjuscha - Rückseite

Die Karte wurde 1961 in einer Auflage von 20000 in dem Primorski Buchverlag/Приморское книжное издательство herausgegeben. Das Foto stammt von N. Nasarow/Н. Назаров und gedruckt wurde sie in Wladivostok/Владивосток. Herausgegeben wurde die Karte vor der Umbenennung von Tetjucha/Тетюха in Dalnegorsk/Далнегорск im Jahre 1972. Aufgrund der politischen Spannungen zwischen der Sowjetunion und China Ende der 60er Jahre wurden aus dem Chinesisch stammende geografische Bezeichnungen in dieser Zeit russifiziert. So wurde auch der Fluss Tetjuche/Тетюхe in Rudnaja/Рудная umbenannt.

Kulturpalast Tetjucha

Kulturpalast Tetjucha

Zu sehen ist der Kulturpalast der kleinen Stadt im Fernen Osten. Im Vordergrund fliesst vermutlich der Fluss Tetjuche/Тетюхe. Der Kulturpalast ist ein typischer Bau der Stalinzeit im Neoklassizistischem Look. Die Front bildet einen Querriegel, vor dem sich eine Säulenfront mit Tympanon mit einem eingelassenen Dreieck befindet. Hinter dem Vordergebäude ist ein Längsriegel, der sicherlich als Mehrzweckraum für Kino, Versammlung, Theater fungierte. Zwischen den Frontsäulen befinden sich 2 Skulpturen – es könnte ein Mann und eine Frau sein. Im Eingangsbereich sind Plakate angebracht und oben auf dem Dach ist eine Antenne oder ein überdimensionerter Blitzableiter. Vielleicht gab es einen Zirkel “Junger Funker”. Immerhin liegt Tetjucha/Тетюха ziemlich abgelegen – etwa 500 km von Wladivostok/Владивосток entfernt. Vor dem Palast liegt ein solide umzäunter Park mit einem Monument. Es ist eine Büste, die in Richtung Kulturpalast schaut. Soweit man es auf der Karte erkennen und aus der Kopfform schließen kann, scheint es ein männlicher Held zu sein. Ob es Lenin ist oder eine lokale Persönlichkeit?

Das Denkmal könnte Jules Bryner/Юлий Иванович Бринер (1849 Möriken, Schweiz-1920 Wladivostok) gewidmet sein. Mit 16 Jahren verliess er sein Schweizer Heimatdorf. Als Abenteurer und später Kaufmann kam er über Shanghai und Yokohama in den 1880ern nach Wladivostok/Владивосток. Er heiratet die Tochter eines Mongolischen Khans mit dem russifizierten Namen Kurkutowa/Куркутова. Um 1908 gründet er den Blei- und Zinkbergbau in der kleinen Siedlung Tetjucha/Тетюха. Er beschäftigt sich außerdem mit Holzverarbeitung auf Sachalin und dem Kohlebergbau. Als Mitglied der Russischen Geografischen Gesellschaft, Gründer der Ussuri Bergbau Aktiengesellschaft und Gründer eines Museums für das Amur-Gebietes war er wesentlich in die wirtschaftliche Entwicklung dieser Region involviert. Eine Strasse in Wladivostok/Владивосток ist nach ihm benannt. Nach seinem Tod übernimmt sein Sohn Boris die Geschäfte. Noch bis 1931 bleiben seine Betriebe im Privatbesitz, was für die junge Sowjetunion unüblich ist. 1930 wird Tetjucha/Тетюха zur Stadt. 1959 hat sie 17900 Einwohner, 1989 – 49000, 2007 – 37000.

Zum Sowjetischen Erbe gehört leider, dass das heutige Dalnegorsk/Далнегорск zu den 30 verschmutztesten Orten der Welt zählt.
Boris Bryner/Борис Бринер und seine Frau bekommen 1920 in Wladivostok/Владивосток einen Sohn namens Yul Bryner/Юл Борисович Бринер. Die Wirren der Zeit und familiäre Umstände bringen den jungen Yul Bryner/Юл Борисович Бринер über Charbin nach Paris und weiter nach Hollywood. In der USA kommt ein zweites N in den Namen. Yul Brynner, der berühmte Schauspieler, betritt die Bühnen der Welt und ist ein gefragter Kinostar, der die Frauen betört und mit seinem markanten Auftreten viele Filme prägt. Um seiner fernöstlichen Herkunft ranken sich diverse Legenden.

1967 besucht er Möriken, den Geburtstort seines Großvaters, der fast genau 100 Jahre vorher das kleine Schweizer Dorf verlassen hatte. Ob Yul Brynner gelegentlich das Sowjetische Tetjucha/Тетюха besucht hat, ist eher unwahrscheinlich. Allerdings hat wiederum sein Sohn Rock Brynner Tetjucha/Тетюха bzw. Dalnegorsk/Далнегорск beehrt.

Thomas Neumann

http://en.wikipedia.org/wiki/Dalnegorsk

http://de.wikipedia.org/wiki/Yul_Brynner

Tetjucha/Dalnegorsk bei Google Maps

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One Response to “Frantischek und Tetjucha/Тетюха”


  1. […] auch Tetjucha/Тетюха befindet sich Ust Kamenogorsk/Усть-Каменогорск auf der “Dirty Thirty” […]


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